LAUT GEDACHT
Sport ist politisch.
February 23, 2021
by Nike Lorenz


In all meinen Jahren als Sportlerin habe ich mich nie groß herausgefordert gefühlt, mich politisch zu engagieren. Meine Meinung zu Politik und co. war keineswegs weit genug gereift, um sie öffentlich zu äußern oder daraus eine Motivation für ein öffentliches Engagement zu zehren. Darüber hinaus erinnere ich mich zu der Schnittstelle zwischen Sport und Politik immer folgendes vermittelt bekommen zu haben: Sport ist unpolitisch. Das hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) erst Anfang 2020 wieder mit folgender Richtlinie deutlich gemacht:

“The unique nature of the Olympic Games enables athletes from all over the world to come together in peace and harmony. We believe that the example we set by competing with the world’s best while living in harmony in the Olympic Village is a uniquely positive message to send to an increasingly divided world. This is why it is important, on both a personal and a global level, that we keep the venues, the Olympic Village and the podium neutral and free from any form of political, religious or ethnic demonstrations.”

Mexico City '68: Smith und Carlos protestieren bei der Siegerehrung

Keine Frage, die Spaltung unserer Welt nimmt teils in dramatischem und angsteinflößendem Ausmaß zu, doch SportlerInnen gehören zu der Gesellschaft dieser diversen Welt. Kein Mensch ist immun gegen die Ungerechtigkeiten als Folge dieser gespaltenen Welt, nur weil er oder sie Sport treibt. Natürlich besteht eine Schnittstelle zwischen Sport und politischen und sozialen Themen. Warum sollte diese verschwiegen werden? Ich denke dabei nicht nur an historische politische Statements wie von Tommy Smith und John Carlos, die bei den olympischen Spielen 1968 im Rahmen der Siegerehrung ein Zeichen für den Kampf gegen Rassismus setzen. Viel mehr geht es darum, Sport als einen Raum für Bildung und Meinung zu verstehen. Das ist sogar bereits der Fall: sportliche Aktivitäten schulen unter anderem Fairness und Zusammenhalt. Zwei wundervolle Eigenschaften, die auch in jeder Gesellschaft einen Platz verdienen. Jedoch werden diese häufig ausschließlich in Bezug auf die sportliche Leistung vermittelt, und weniger in Bezug auf das Miteinander unter den Sporttreibenden auf und neben dem Platz, der Laufbahn oder Halle.


Wie können wir also unseren geliebten Sport (welcher auch immer das sein mag) nutzen, um eine fairere Gesellschaft zu schaffen?

Dieser Frage habe ich mich zusammen mit Yasmin Kwadwo gewidmet. Yasmin ist eine ziemlich schnelle Sprinterin, hat sich schon mehrere Dutzend Medaillen erlaufen und dieses Jahr mit ihrer Schwester ihren eigenen Podcast “Sister Talk” gestartet.

Yasmin hat eigene Erfahrungen zum Thema Rassismus im Sport gemacht und mir davon berichtet: nach einem siegreichen Rennen mit der Sprint-Staffel hat Yasmin ein Foto von ihr und ihren Teamkolleginnen mit Deutschlandflagge auf den sozialen Medien gepostet. In den Kommentaren regte man sich dann darüber auf, dass 3 von 4 Sprinterinnen PoC (People of Color) waren: Nur eine der Athletinnen könne man anhand der Hautfarbe als deutsch identifiziert und das solle die deutsche Nationalmannschaft sein?

“Ich habe daraufhin die Social Media Abteilung des Verbands kontaktiert und gehofft, dass die dazu Stellung nehmen würden. Natürlich hatte die Person ihren Kommentar in der Zwischenzeit gelöscht, Screenshots gab es jedoch genug. Außerdem beharrte die Person auch in einem privaten Chat mit mir auf ihrer Meinung. Trotzdem gab es keine Stellungnahme, kein Post, keine Pressemitteilung”, erzählt Yasmin.

Bei diesem Vorfall ist Yasmin das erste Mal aufgefallen, dass sie überhaupt nicht wusste, an wen sie sich konkret wenden konnte. Es gab keine Anlaufstelle, die AthletInnen im Rahmen rassistischer Erfahrung auffängt und unterstützt: “Es sind immer mal wieder Integrationsbeauftragte in den Verbänden zu finden, aber ich möchte darüber reden, wie ich diskriminiert werde.“

Im Frühjahr 2020 veröffentlicht der Leichtathletikverband (DLV) einen Bericht mit der Botschaft: „Rassismus ist für den DLV kein Thema“ . Der DLV Präsident Kessing und weitere Athleten haben sich zu dem Thema Rassismus in der Leichtathletik geäußert. Die Botschaft hinter der missverständlichen Überschrift ist, dass die Leichtathletik sich als “multi-kulti” versteht und Herkunft und Aussehen unter den SportlerInnen keine Rolle spielt. Problematisch ist die Pressemitteilung jedoch aus dem Grund, dass nur eine PoC-Athletin zitiert wird und dies in einem völlig falschen Zusammenhang.

„Ich war schockiert, als ich den Bericht gesehen hab. Es mag an sich legitim sein zu behaupten, dass die Leichtathletik frei von Rassismus ist. Aber sobald eine andere Erfahrung gemacht wird, muss den entsprechenden Personen auch zugehört werden. Dabei geht es nicht darum, dass es mir persönlich danach viel besser geht, sondern dass Menschen für Rassismus sensibilisiert werden, indem es zu einem Thema gemacht wird. Das geht zum einen eben über reaktive Pressemitteilungen nach rassistischen Vorfällen, die man zum Beispiel im Fußball viel sieht. Nachdem mein Bruder Leroy bei einem Fußballspiel von einem gegnerischen Fan beschimpft wurde, haben sich beide Vereine in den sozialen und öffentlichen Medien zu diesem Vorfall geäußert und sich deutlich gegen Rassismus ausgesprochen. Das ist wirklich nicht zu viel verlangt, ganz im Gegenteil: Es ist doch eine Kleinigkeit, die aber so eine große Wirkung im Kampf gegen Rassismus haben kann. Es muss aber nicht nur reagiert werden. Wir können auch eine anti-rassistische Position einnehmen, ohne dass erstmal jemand beleidigt werden muss. Bei jedem Wettkampf, zum Beispiel einer Deutschen Meisterschaft, stehen auf dem Gelände jede Menge Stände, die über diverse Themen informieren und Einkaufsmöglichkeiten bieten. Stattdessen könnten in der Arena oder Halle Plakate und Banner mit Aufschriften hängen, die Rassismus in der Leichtathletik keinen Platz lassen. Allein diese Form der  Öffentlichkeitsarbeit hätte gerade auch bei jungen Athleten einen immensen Einfluss und vermittelt, dass ich hier nicht auf meine Herkunft oder meine Hautfarbe reduziert werde.”

Während der Entstehung dieses Artikels hat sich schon einiges getan. Der Link zu dem eben besprochenen Artikel auf der Seite des DLV funktioniert nicht mehr und der Artikel wurde gelöscht. Stattdessen lässt eine neue Kategorie, nämlich die “Colors of #trueathletes”, vermuten, dass der Verband sich eventuell anders in den Kampf gegen Rassismus einbringen möchte. Wir sind gespannt.

Yasmins Erfahrung lässt deutlich erkennen, dass es bei Rassismus im Sport eben nicht ausschließlich um das Miteinander von AthletInnen geht. Stattdessen gehört zu einer anti-rassistischen Haltung auch, dass ein Verband oder TeamkameradInnen diese nach außen sichtbar machen. Darüber hinaus geht es grundlegend darum, den Sport als eine Möglichkeit zu sehen, Menschen um uns herum für Themen wie Rassismus und Diskrimierung zu sensibilisieren. Uns vereint die Liebe für den Sport. Diese Grundlage erlaubt sehr viel Raum für komplexe Themen, zu denen wir uns gegenseitigen zuhören und aufklären können.

Sport, wie wir ihn bis jetzt kennen, funktioniert oft ausschließlich nach dem Leistungsprinzip. Das kann bedeuten: es ist egal, wie man aussieht oder wo man herkommt. Nur die Leistung zählt. Doch die Erfahrungen von Yasmin und auch anderen SportlerInnen in Deutschland zeigen etwas anderes. Das Leistungsprinzip sorgt weiterführend dazu, dass Rassismus und Diskrimierung im Sport häufig totgeschwiegen werden. Doch dieser leere Raum, muss nicht erst bei negativen Erfahrungen mit Rassismus gefüllt werden. Stattdessen wollen wir ihn nutzen, um „quasi präventiv“ über Rassismus zu sprechen, darüber aufzuklären und es zu einem Thema zu machen. Es betrifft das Leben vieler SportlerInnen in Deutschland, wie kann es kein Thema sein?

Dieser Artikel ging an einen breiten Verteiler mit Vereinen und Verbänden aus vielen Sportarten in Deutschland. In den Anhang haben wir eine Vielzahl an Bannern und Aufstellern mit dem #SportgegenRassismus- Design gepackt, mit einer Preisliste und Bestellformular. Wir hoffen, es vereinfacht den ersten Schritt für die Vereine sich zum Thema Rassismus im Sport zu positionieren. Wenn ihr Euch einen Banner oder ähnliches auf Eurem Clubgelände wünscht, dann macht unbedingt jemanden in Eurem Verein auf unser Angebot aufmerksam.
Klicke hier, um das Angebot herunterzuladen.

Quellen: