Nach dem Vorfall bei der Polizei NRW lehnte Horst Seehofer zum zweiten Mal dieses Jahr eine Untersuchung innerhalb der Polizei zu Racial Profiling ab. Das erste Mal verweigerte er die Anordnung einer solchen Untersuchung, als die Forderung im Rahmen der BLM Proteste um den ermordeten George Floyd in den USA aufkamen. Zwei Berichte über Rassismus in Deutschland, von den Vereinen Nationen und dem Europarat, raten Deutschland dringend, eine solche Untersuchung durchzuführen. Für Horst Seehofer gibt es keinen Grund dafür, denn es sei bis jetzt ja nie etwas aufgefallen. Wie auch ohne Untersuchung?
Im Rahmen der Kampagne #SportgegenRassismus habe ich versucht, die Lage in Deutschland bezüglich Rassismus und den damit einhergehenden Ungerechtigkeiten zu verstehen. Nachdem ich viel aus den USA, zum Beispiel über den Anteil von Schwarzen CEOs in den Fortune500, oder aus Großbritannien, über den Anteil von Schwarzen Menschen in armen Wohnvierteln, gelesen hatte, war ich auch in Deutschland auf der Suche nach Zahlen. Ich wollte Fakten, Statistiken und eine Grundlage dafür, das Thema objektiv angehen zu können. Jedoch bin ich dabei sehr schnell an die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland gestoßen, denn bei uns sieht es wie folgt aus: Seit dem Zweiten Weltkrieg werden in Deutschland keine Statistiken mehr zur Hautfarbe, Religionszugehörigkeit und Ethnie erhoben. „Hintergrund dessen ist zum einen die Verfolgung solcher Minderheiten während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“, liest man auf der Seite des BMI.
Über den Ansatz allein, eine nationalsozialistische Gewaltherrschaft durch fehlende Statistiken zu verhindern, kann man schon diskutieren, doch darauf möchte ich nicht hinaus. Stattdessen stelle ich mir die Frage: Wie können wir heute für eine gerechte Zukunft sorgen, wenn wir uns durch Fehler in der Vergangenheit den Blick auf die Gegenwart verbieten? Wie können wir Rassismus in Deutschland greifbar und sichtbar machen, wenn uns eine faktenbasierte Grundlage verweigert wird?
Die letzten Monate und der Umgang mit der Corona-Krise haben sehr deutlich gemacht, wie man ein Problem anhand von Zahlen sichtbar macht. Darüber hinaus wird auch deutlich, inwiefern man Zahlen als Grundlage für Entscheidungen nehmen kann: Werden so und so viele Infizierte erreicht, folgen diese und jene Schließungen. Wir kennen das Prozedere mittlerweile ganz gut. Umso verrückter, dass die Zahl von mindestens 30 verdächtigen Rechtsextremisten in der nordrhein-westfälischen Polizei nicht Grundlage genug ist, um sich für eine Untersuchung zu Racial Profiling in der Polizei zu entscheiden. Es ist mir ein Rätsel und das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht gut mit Zahlen kann…
Zahlen und Statistiken werden überall um uns herum genutzt, um Probleme zu umfassen. Sie können ein Bild der aktuellen Lage vermitteln und diese in Relationen setzen. Sie können Grundlage für ein Gespräch oder eine Diskussion sein. Im Gegenzug kann das Problem ohne statistische Unterstützung schnell als subjektive Wahrnehmung dargestellt werden: „Rassismus existiert in Deutschland doch gar nicht, das ist nur Deine persönliche Wahrnehmung“. Diese Interpretation der Macht von Zahlen mag auch meiner persönlichen Wahrnehmung entsprechen, doch darüber hinaus gibt es eine Menge aufwendig erstellter Berichte, die dies unterstützen. Zum Thema Rassismus in Deutschland wird sowohl von der Antirassismus- Konvention der Vereinten Nationen, wie auch von der Antirassismus-Kommission des Europarats (ECRI), ein regelmäßiger Bericht verfasst. Beide aktuellen Veröffentlichungen (2019 und 2020) unterstreichen die Wichtigkeit von Statistiken. Sie erwähnen beide die Problematik, dass Rassismus und Diskriminierung ohne Daten nicht sichtbar gemacht werden können. In diesen Berichten wird Deutschland unter anderem ein Feedback zu sozialer Gerechtigkeit und Rassismus gegeben. In beiden Berichten steht, dass in Deutschland ein Mangel an statistischer Grundlage vorliegt und, dass es dringend eine unabhängige Untersuchung zu Racial Profiling innerhalb der Polizei geben sollte. Diese Berichte müsste eigentlich auch Horst Seehofer lesen. Sehr übersichtlich werden am Ende des ECRI- Berichts zwei Forderungen hervorgehoben, eine davon zu Racial Profiling:
„ECRI empfiehlt den Polizeibehörden des Bundes und der Bundesländer, eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag zu geben und sich an ihr mit dem Ziel zu beteiligen, Maßnahmen zur Beendigung bestehenden Racial Profilings und zur Verhinderung zukünftigen Racial Profilings zu entwickeln und umzusetzen.“
Diese Berichte mögen etwas an der breiten Bevölkerung vorbei gehen, doch sie bieten eine gute Grundlage, um Politik anhand von wissenschaftlichen und intensiv recherchierten Untersuchungen zu messen. Sicher geht das Wissen der Verantwortlichen über diese Berichte hinaus, doch wir können diese als eine Chance sehen, auf eine ähnliche Wissensebene zu kommen. Und von hier können wir dann wählen gehen und PolitikerInnen zu ihrer Verantwortung ziehen, wir können auf die Straße gehen und demonstrieren, wir können unsere Argumente mit Freunden und Familie belegen. Die Politik wird weder all unsere Probleme lösen, noch immer völlig transparent sein. Trotzdem können das, was transparent gemacht wird, immer wieder nutzen, um zum Beispiel alte weiße Männer, wie Horst Seehofer, gründlich zu durchleuchten. Denn, wer hätte das gedacht, bei so Untersuchungen findet man immer wieder eine neues Stückchen Wahrheit.
Quellen:
https://mediendienst-integration.de
ECRI- Bericht:
https://www.coe.int/en/web/european-commission-against-racism-and-intolerance
ICERD- Bericht:
Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: