Dementsprechend haben Erwartungen eine verrückte Rolle in diesem Jahr eingenommen. Ich hatte erwartet an olympischen Spielen teilzunehmen, bis dahin alles darauf auszulegen und danach keine Pläne zu haben.
Anfang März habe ich begonnen zu erwarten, dass die olympischen Spiele in Tokyo 2020 verschoben werden. Nachdem uns das Coronavirus in Deutschland so richtig erreicht hatte, kam aus dem Kreis deutscher AthletInnen relativ schnell die Forderung an den IOC, unmittelbar eine Entscheidung über die anstehenden Spiele zu treffen. Wir alle sahen keinen Platz für olympische Spiele mit all ihren Fans, SportlerInnen und dem Dorf inmitten einer Pandemie. Ich persönlich stand auch hinter dieser Forderung, tief in mir drin habe ich bereits erwartet, dass es dieses Jahr nicht nach Tokyo gehen würde. Hinzu kommt noch, dass ich eine Pessimistin bin. Eigentlich hatte ich also alles getan, um von einer tatsächlichen Verschiebung der Spiele nicht all zu sehr enttäuscht zu sein. Auch wenn diese Einstellung mich in meinem Leben vor ein paar stärkeren Enttäuschungen verschont haben mag, dieses Mal war es ein absoluter Reinfall: Die Pressemitteilung über die Verschiebung kam für mich wie ein Blindside-Tackle im Football. Der Blick war wohl doch tief in mir drin noch nach Tokyo gerichtet, als die Pandemie schon mit ausgebreiteten Armen auf mich zu kam.
Eigentlich erwartend und doch unvorbereitet saß ich auf der Couch, als die Pressemitteilung rauskam, die bestätigende Whatsapp- Nachricht in unserer Mannschaftsgruppe direkt hinterher. Meine Mitbewohnerin und beste Freundin und mein Freund (beide auch Hockeynationalspieler auf dem Weg nach Tokyo) saßen rechts und links von mir. „Wir hatten es ja geahnt“, flüsterten wir in die uns umgebende Stille. Es war die beste Gesellschaft, die ich mir hätte vorstellen können. Wir mussten uns nichts erklären, wir alle fühlten mehr oder weniger dasselbe. Wir mussten uns nicht gegenseitig bemitleiden, es betraf uns ja alle genau gleich. Wir mussten nicht noch viel mehr darüber reden. Wir ließen die Nachricht sacken und blieben selbst auch eine Weile still sitzen. Für eine Woche ließen wir alle Emotionen zu, brauchten ein paar Getränke und Mahlzeiten, auf die wir bis zu diesem Zeitpunkt verzichtet hatte, um wieder irgendein Gefühl wahrzunehmen. Wir spielten Frisbee im Park und waren eine Woche lang keine LeistungssportlerInnen. Wir waren eine Woche niemand, der sich auf olympische Spiele 2021 vorbereiten müsste.
Seit dem bin ich wieder fleißig und zielstrebig, sportlich betrachtet. Mental allerdings, erwische ich mich immer wieder am Zweifeln, ich traue mich nicht mehr mit irgendetwas zu planen oder zu rechnen. Für 2021 erwarte ich von mir, wieder an Dinge zu glauben, mit Terminen zu rechnen und beim Joggen auch etwas von olympischen Spielen zu tagträumen. Wenn das jetzt nicht in Erfüllung geht, kann ich nur mich selbst dafür verantwortlich machen. Und damit kann ich deutlich besser umgehen als mit einem viralen Blindside-Tackle.